Am 12.3.2017 feierten wir die Wort-Gottes-Feier in der Pfarre Rabenstein zu dem Thema menschliches Leid. Josefine Stelzhammer, Hauptverantwortliche der Fraternität der kranken und behinderten Personen, kam aus Vorarlberg nach Rabenstein an der Pielach um mit ihrem Lebenszeugnis Mut zu machen und Hoffnung zu geben.
Wort-Gottes-Feier-Leiterin Ulrike Mayr stellte Josefine und ihr Leben vor:
Heute wollen wir das Thema „Leiden“ weiter beleuchten mit einem außergewöhnlichen Lebenszeugnis. Ich begrüße heute ganz besonders Josefine Stelzhammer. Sie ist extra aus Vorarlberg zu uns nach Rabenstein gekommen um mit uns diese Wort-Gottes-Feier zu begehen. Ich werde kurz über das Leben von Josefine erzählen und dann lasse ich Josefine selbst zu Wort kommen.
Josefine wurde 1936 in Oberösterreich geboren. Sie hat mehrere Abtreibungsversuche ihrer Mutter überlebt. Und die Folgen dieser Abtreibungsversuche sind: spastische Lähmungen an Händen und Füßen, Missbildungen an den Füßen, gespaltene Knöchel, Verwachsungen am Oberkörper; und die inneren Organe sind verschoben.
9 Tage nach der Geburt hatte sie ihre Mutter weggegeben. Ein älteres Ehepaar hat sie dann als Pflegekind aufgenommen. 1939 brach der 2. Weltkrieg aus und damals wurden ja auch alle Menschen mit Behinderungen umgebracht. Das war auch für Josefine eine große Gefahr. 3 Jahre lang lebte sie im Untergrund und wurde von ihren Pflegeeltern versteckt.
Aber ihre leibliche Mutter wollte sie in ein Vernichtungslager verschleppen lassen. Sie hat auch das Haus der Pflegeeltern angezündet, sie sollten alle verbrennen. Zum Glück wurde die Familie gerettet.
Josefine wurde mehrfach operiert, was aber keine Verbesserungen gebracht hat. Josefine hat mir von einer Operation erzählt da war sie sehr jung. Ihr wurden die Achillessehnen durchtrennt – ohne Narkose. Dann wurde sie in eine Gipsschale gelegt und im Keller ohne Tageslicht, auf Strohballen gebettet. Einmal am Tag kam wer vorbei und brachte ihr was zum Essen. Die einzigen Lebewesen, die ihr Gesellschaft leisteten, waren Ratten, die sie anknabberten.
Aber noch nicht genug: In ihrem Leben wurde sie auch von einem jungen Mann missbraucht.
Josefine konnte wegen ihrer Behinderung und wegen der Nazizeit keine Schule besuchen. Sie hat nie eine Schule von innen gesehen. Sie wurde von ihrer Pflegemutter unterrichtet und auf die Erstkommunion vorbereitet. Die Erstkommunion war für Josefine die erste wunderbare Erfahrung der Geborgenheit in Gott.
Als sie 11 Jahre alt war ist ihr Pflegevater gestorben und ihre herzkranke Pflegemutter konnte sie bald nicht mehr betreuen. So kam Josefine als ganz junger Mensch in ein Pflegeheim. Inzwischen lebt sie schon über 65 Jahre im Pflegeheim.
Das ist die Lebensgeschichte von Josefine Stelzhammer. Sie hat sich von all ihren Problemen nicht entmutigen lassen, sie hat nicht aufgegeben. Obwohl sie nie eine Schule besucht hat, hat sie ein unglaubliches Allgemeinwissen. Sie spricht 7 Sprachen: Italienisch, Spanisch, Portugiesisch, Englisch, Ungarisch und Russisch. 2012 hat sie dann noch Polnisch gelernt, weil sie die Fraternität bei einem Europatreffen in Polen vertreten hat. Sie hat sich immer wieder durch Übersetzungen ihren Lebensunterhalt aufgebessert.
Ihre schlimmsten Erfahrungen – so sagt sie – sind, dass sie oft nicht ernst genommen wird. Im Restaurant zB, wenn alle eine Speisekarte bekommen haben, sie hat keine bekommen. Es sind die vielen kleinen Demütigungen, die sie als behinderter Mensch auch heute noch zu erleiden hat. Aber Josefine nimmt es mit Humor: sie sagte, „Ich hab gelähmte Beine, aber zum Glück brauch ich meine Beine nicht um zu Lesen.“ und ordert die Speisekarte. So, aber jetzt soll Josefine selbst zu Wort kommen.
Interview mit Josefine:
Josefine, du hast so viele wirklich ganz schlimme Sachen in deinem Leben erfahren. Was hat dich davor bewahrt verrückt zu werden oder aufzugeben?
Josefine: Durch meinen Glauben und mein Vertrauen. Ich hatte viel Glück: meine Pflegemutter war eine sehr gläubige Frau, die mich auf die Erstkommunion und auf die Firmung (zu Hause) vorbereitet hat. Ich habe Jesus persönlich erfahren und seine Liebe spüren dürfen. Meine persönliche Beziehung zu Jesus hat mich gerettet.
Wodurch hast du das Gefühl, dass dein Leben gelungen ist?
Josefine: Ich musste mich immer wieder durchsetzen, weil ich oft nicht für voll genommen wurde. Ich wollte immer etwas lernen, konnte aber nicht zur Schule gehen, wegen meiner Behinderung und der Nazi-Zeit. Mit Büchern und allem, was damals zur Verfügung stand, habe ich mich weitergebildet. Ich habe viele Kontakte durch Briefe und Telefon, und viele Freundschaften. Ich hab mich immer bemüht, mich nützlich zu machen.
Wodurch hast du trotz der ganzen schlimmen Erfahrungen ein erfülltes Leben?
Josefine: Erfüllung fand ich durch mein Engagement für andere. 1961 habe ich die Fraternität der kranken und behinderten Personen in Lourdes kennen gelernt. Durch den Geist der Fraternität und die Intuition von Père François, dem Gründer der Fraternität, bin ich in meinen damaligen Vorstellungen von einem geglückten Leben bestärkt worden. Ich habe meine Aufgaben als Christin und meine Möglichkeiten erkannt, wie ich für andere da sein kann. Und mein fröhliches Wesen und mein Humor haben mir dabei immer geholfen.